Wie kommt die Blindenschrift auf die Medikamentenverpackung?
Die Erhebungen bilden die Brailleschrift und geben die Medikamentenbezeichnung und die Stärke des Wirkstoffes an. An ihnen vergewissern sich blinde und sehbeeinträchtigte Menschen, dass sie die richtige Packung ausgehändigt bekommen.
Seit 2006 müssen alle Medikamentenverpackungen in der Europäischen Union mit Brailleschrift beschriftet sein, damit sich auch blinde und sehbeeinträchtigte Menschen in ihrem häuslichen Medizinschrank zurechtfinden. Lesen Sie hier, wie ein Sprachdienstleister den Braille-Schriftzug vorbereitet, damit die Flachbettstanzmaschine die bedeutsamen Muster aus Braillepunkten in den Karton pressen kann:
- die Übertragung des Produktnamens und der Stärke in Brailleschrift für jede erforderliche Sprache
- das Lektorat der Brailleschrift unter Berücksichtigung der Abweichungen von Sprache zu Sprache
- die Erstellung der elektronischen Datei gemäß DIN 32976 für die Stanzmaschine.
Mit der Dateierstellung sind alle Schritte der Übertragung eines Textes in Braille getan, bei denen ein Sprachdienstleister unterstützen kann. Die Vorlage geht in den Druck oder vielmehr in die Stanzprägung beim Spezialisten, der für die serielle Brailleprägung spezielle Softwares und Maschinen einsetzt.
Wie der erste Schritt verläuft, hängt vom gelieferten Ausgangsmaterial ab. Es kommt vor, dass ein Arzneimittelhersteller den Medikamentennamen bereits in Braille übertragen hat. Dann fällt nur ein Lektorat an. Ebenso gut kann der Hersteller Übertragung und Lektorat in Auftrag geben.
So oder so ist wichtig, dass für jedes Vertriebsland die exakte Namensschreibweise vorliegt. Sicher wissen Sie, dass Medikamente zur Markteinführung von Land zu Land unterschiedliche Fantasiebezeichnungen erhalten können. Um Übertragung und Lektorat für jedes Land mit dem dafür vorgesehenen Namen vorzunehmen, braucht der Sprachdienstleister alle entsprechenden Angaben.
Auf den Namen folgt die Angabe der Stärke in Brailleschrift. So wird auch jede Stärke, in der das Medikament auf den Markt kommt, in Brailleschrift übertragen und an den Namen angehängt. Für jede Kombination aus Namen (landesabhängig) und Medikamentenstärke wird eine separate Vorlage erstellt.
2. Übertragen und Lektorieren nach aktueller Systematik
Die Übertragung und das Lektorat erfolgen nach den aktuellen Braille-Systematiken einer jeden Sprache. Worauf achtet ein Lektor da?
So kurz die zu übertragende Zeile auch ist, in dem Zeichensystem Braille steckt viel Raffinesse, die ein Lektor kennen muss. Diese Raffinesse braucht es, weil Braille zu wenige Zeichen umfasst, um alle Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen mit einem eigenen Zeichen zu repräsentieren.
Das Problem setzt sich über alle Sprachen hinweg fort. Weil jede Sprache so ihre Besonderheiten und teils für sie einzigartige Zeichen aufweist, muss der verfügbare Zeichensatz von Sprache zu Sprache verschieden ausgenutzt werden. Das heißt: eine Sprache, eine Systematik. Andere Sprache, andere Zeichenbelegung.
Noch dazu erfährt die Belegung von Zeit zu Zeit Reformen. Zuletzt etwa hat Frankreich, das Heimatland des Erfinders Louis Braille, neue Regeln für die Schreibweise von Zahlen eingeführt.
In den Sprachen mit lateinischem Schriftsystem sind die Buchstaben identisch. Ausnahmen bilden die in den einzelnen Sprachen spezifischen Sonderzeichen (z.B. ß oder ê) und Satzzeichen. Die Brailleschrift wird aber auch in Sprachen mit anderen Schriftsystemen angewendet (z.B. Chinesisch, Hebräisch, Russisch).
Die spanische Brailleschrift etwa hat ein eigenes Zeichen für das ñ reserviert. In anderen Sprachen übernimmt dasselbe Zeichen eine andere Bedeutung. Auch der sprachtypischen Häufigkeit von Buchstaben mit Akzenten (à, â, é, è, î, ï, ô, û) wird mit der sprachspezifischen Ausnutzung des begrenzten Kombinationsumfangs Rechnung getragen.
In der deutschen Brailleschrift unterscheidet man in Basis-, Voll- und Kurzschrift. Für die Braillebeschriftung von Medikamentenverpackungen gilt international die Norm DIN EN ISO 17351.
Basis-, Voll- und Kurzschrift. Braille gibt es in verschiedenen Ausführungen.
In der Basisschrift wird jeder Buchstabe einzeln übertragen.
In der Vollschrift werden einige Buchstabengruppen zu einem Zeichen gekürzt. Im Deutschen sind das die Buchstabengruppen ie, ei, eu, äu, au, ch, sch und st.
In der Kurzschrift werden Buchstabengruppen, Wortstämme sowie Prä- und Suffixe mit ein- und zweiformigen Zeichen dargestellt, die wiederum abhängig von ihrer Stellung im Wort unterschiedliche Bedeutungen haben.
3. Erstellung der Stanzvorlage nach der DIN-Norm 32976
Softwares für Brailleschrift unterstützen die sprachlich korrekte Übertragung von der Niederschrift bis zur Vorbereitung der optischen Vorlage. Die Software wandelt doc- und html-Dateien in ein spezielles Dateiformat für Brailleschrift um, das von Druckern und Stanzmaschinen gelesen werden kann.
Häufiger als im Dateiformat brl speichert man den Braille-Schriftzug im PDF-Format. Das PDF-Format ist praktischer, weil es weit verbreitet ist und täglich eingesetzt wird. Der Schriftzug wird darin in einer eigenen Ebene angelegt und mit einem geeigneten Grafikprogramm kann der Schriftzug in der Druckdatei genau nach der DIN-Norm ausgerichtet werden.
Die DIN-Norm legt zum Beispiel die Punktgröße, -höhe und -abstände sowie die Position auf der Verpackung fest. Gemäß der Norm darf die Brailleschrift nicht den Barcode überdecken und sie muss im Dokument mit einer eigenen Farbe hinterlegt sein. Die fertige Prägung sollte ideal 0,2 mm herausragen.
Ist die Prägung flacher, sind die Zeichen schwerer lesbar. Ist die Prägung höher, ist der Buchstabenaufdruck schwerer lesbar. Denn wenn die Maschine stärker durch das Verpackungsmaterial stanzt, reißt die Oberfläche auf. Die Norm stellt den optimalen Zugang für beide Patientengruppen sicher.
Das Endergebnis ist eine optische Braille-Vorlage:
- eine brl- oder PDF-Datei
- mit dem Medikamentenbezeichnungen/Produktnamen und allen Stärken in Braille
- nach den aktuellen Regeln aller Zielsprachen übertragen und lektoriert
- normkonform ausgerichtet
- direkt von der Druck- oder Stanzmaschine lesbar
mt-g ist auf die EU spezialisiert. Die bestechende Einfachheit und Effizienz der Zeichenlogik hat Braille weit über die Grenzen Europas hinausgetragen. Selbst nicht-lateinische Sprachen mit einem immens großen Zeichensatz kann die Blindenschrift in 64 Zeichen abbilden. Wie das gelingt, enthüllt der letzte Klappkasten.
Die Blindenschrift in nicht-lateinischen Systemen
Kyrillisch und Bildzeichensprachen wie Chinesisch und Koreanisch belegen die Kombinationen gänzlich anders. Nur wenige Buchstaben wie e, p oder t sind im Kyrillischen gleich, das q gibt es so nicht und das entsprechende Braille-Zeichen steht deshalb für den Sprachlaut tsch. Sprachen mit Bildzeichen sprengen die Systematik, weshalb die Punktkombinationen im Chinesischen etwa die häufigsten Laute einfangen. Die Brailleschrift gibt Chinesisch folglich in Lautsprache wieder.